Thomas Franke: Andacht zur Jahreslosung 2023

Du bist ein Gott, der mich sieht

Empfinde ich diese Aussage als befreiend oder entsteht eher das Gefühl einer beklemmenden Enge in mir, weil ich mich beobachtet und kontrolliert fühle? Das hängt wohl sehr stark davon ab, welches Gottesbild ich habe. Um verstehen zu können, wie diese Worte gemeint sind, ist es deshalb wichtig, den Kontext des Verses zu kennen. Gott hatte Abraham versprochen, dass er der Stammvater eines großen Volkes werden sollte. Doch als Abraham und seine Frau Sarah längst im Rentenalter und immer noch kinderlos waren, ging ihnen allmählich das Vertrauen aus und sie nahmen die Sache selbst in die Hand. Sarah gab Abraham ihre Sklavin Hagar zur Frau. Kaum war Hagar schwanger, verlor sie die Achtung vor Sarah. Das führte zu Streit und Eifersucht. Letztlich saß Sarah am längeren Hebel und machte ihrer Sklavin das Leben so schwer, dass diese hinaus in die Wüste floh. Dort hatte Hagar dann eine ganz besondere Gottesbegegnung, die sie schließlich zu der Aussage bewegte: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Der Ursprung des in diesen Versen geschilderten Dramas lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Hagar wird von Menschen benutzt, die eigentlich gesegnet sind, diesem Segen aber nicht vertrauen.

Dieses Phänomen gibt es leider auch heute noch in christlichen Gemeinden. Wer nicht wirklich darauf vertrauen kann, dass Gott es gut mit ihm meint, versucht mit aller Kraft, Gottes Segen greifbar zu machen. Menschen werden dabei schnell Mittel zum Zweck. Doch die gute Nachricht ist, dass selbst die krasseste Fehlentwicklung nichts am Eigentlichen zu ändern vermag, nämlich daran, dass Gott jeden Einzelnen von uns sieht, dass er uns mit Augen der Wertschätzung betrachtet und dass er uns begegnen möchte. Auch wenn wir alles andere als perfekt sind, so wie Hagar, die sich aufgrund ihres hochmütigen Verhaltens in eine scheinbar ausweglose Lage brachte. Er sagt uns zu: Du bist nicht allein in dieser Wüste. Ich bin bei dir. Im Moment siehst du keinen Ausweg, aber ich habe eine Perspektive für dich. Ich bin der Gott, der dich sieht. Das ist der Boden, auf dem wir stehen und von dem aus wir einen neuen Anfang wagen dürfen – jederzeit.

Ihr Thomas Franke

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